Musik: "Someday Past The Sunset"
Die Brüder Robinson geben nicht einfach Interviews: sie veranstalten ein Event. Als Brothers Of A Feather treten sie Mitte Februar im Londoner "Omeara"-Club auf. Ein muffiges Kellergewölbe, in das knapp 200 Zuschauer passen, und in dem Chris und Rich ankündigen, bald auf europäische Konzertbühnen zurückzukehren. Zur Einstimmung spielen sie Stücke aus ihren acht Alben, nur mit Akustik-Gitarre und Gesang. Geprobt haben sie für den Auftritt nicht, sagen sie, und verspielen sich prompt. Geschenkt, die Tatsache, dass die Brüder wieder gemeinsam performen, versöhnt. Doch dazu später. Am nächsten Tag dann der Interview-Marathon im Luxus-Hotel. Streng durchgetaktete 20-Minuten-Gepräche in einer Präsidentensuite, bei Canapés und einer Armada aufgeregt umherwuselnder Assistenten. Großes Show-Business. Davon lassen sich Chris, der ältere, und Rich, der jüngere der Robinsons, aber nicht anstecken. Die Fiftysomethings sind bemüht und nett, auch untereinander. Sie lachen viel, machen Scherze und entschuldigen sich brav, wenn sie einander ins Wort fallen. Dabei sind sie eigentlich wie Nitro und Glyzerin. Hier Chris, der extrovertierte, egomane Frontmann. Dort Rich, der introvertierte, aber dickköpfige Gitarrist. Zwei, die selten einer Meinung sind und ihre Differenzen gerne in der Öffentlichkeit austragen. Doch damit, sagt Chris, sei jetzt Schluss.
Krähen über London
Chris Robinson: "Rich und ich hatten ein Problem: Wir haben nicht miteinander geredet. Wir hatten Leute, die meinten, sie würden sich um unsere Differenzen kümmern. Doch das haben sie nicht. Dadurch sind die Wunden immer tiefer geworden. Und das erste, was ich zu Rich meinte, als wir wieder angefangen haben zu reden, war: "Es tut mir leid, dass dein großer Bruder so ein Arschloch war und all diese Sachen gesagt hat." Ich meine, ich kann das nicht ändern und es ist, was es ist. Ich habe das gesagt, weil ich es gefühlt habe, denn auch ich war verletzt. Zum Glück können wir mittlerweile darüber lachen, denn wir greifen wieder zum Telefon. Wenn Rich ein Problem hat, kann er mich einfach anrufen. Da ist niemand mehr, der sich da einmischt."
Nach sechs Jahren Trennung, in denen sie kaum ein Wort gewechselt haben, sind sie wieder ein Herz und eine Seele: Chris und Rich haben ihre Solo-Projekte, die Chris Robinson Brotherhood und The Magpie Salute, eingestellt und konzentrieren sich erneut auf die Black Crowes. Ihre Band, mit der sie acht Alben eingespielt und 30 Millionen Tonträger verkauft haben.
Musik: "Jealous Again"
Anlass der brüderlichen Wiedervereinigung. Vor 30 Jahren haben sie ihr Debüt-Album veröffentlicht: "Shake Your Money Maker". Das Werk sorgt damals zunächst für Unverständnis, wird dann aber doch zum Bestseller. Mit ihrem rauen, dreckigen Rock´n´Roll, der von Folk, Blues und Southern Rock geprägt ist, platzen die Black Crowes mitten hinein in den Übergang von Hair-Metal zu Grunge. Sie sind der Gegenpol zu den hübschen, geschminkten Jungs aus Hollywood, denen es nur um Wein, Weib und Gesang geht. Aber sie sind auch keine Depri-Rocker in Holzfällerhemden. Die Brüder Robinson sind das Bindeglied zwischen zwei Strömungen, aber kein Teil davon. Sie kombinieren das Rotzige der Small Faces und frühen Rolling Stones mit dem Prototyp-Punk der New York Dolls, haben aber Südstaaten-Wurzeln wie die Allman Brothers und jammen genauso gerne wie The Grateful Dead. Somit basiert der Sound der Black Crowes zwar auf altbekannten Bausteinen, doch in seiner energetischen Darbietung steckt sehr wohl etwas Originelles.
Shake Your Money Maker
"Für uns war "Shake Your Money Maker" eher ein Image, das vom Blues und von James Brown geprägt war. Elmore James hat einen Song daraus gemacht. Und wahrscheinlich ist der Begriff "mit dem Hintern wackeln" mittlerweile nicht mehr politisch korrekt. Aber er hat unsere Einstellung verdeutlicht: Er war als Hommage an die schwarze Musik und die schwarze Kultur unserer Heimat gedacht. Denn wenn man ein bisschen sensibel ist, muss man ihren Beitrag einfach würdigen. Außerdem hat der Begriff dafür gesorgt, die Aufmerksamkeit der Leute auf uns zu ziehen. Wir wollten, dass sie nachdenken, was das wohl bedeutet und was wir damit sagen wollen. Eben: "Was ist "Shake Your Money Maker"?" Und wenn man dort aufgewachsen ist, wo wir herkommen, und die Art von Platten mag, auf die wir stehen, weiß man das. Von daher ist es die perfekte Einführung in den Krach, den wir machen."
Mit diesem Krach geht die einstige Schülerband aus Marietta, einem Vorort von Atlanta, unermüdlich auf Tour und sorgt für Furore. Als Vorgruppe von ZZ-Top werden die Black Crowes gefeuert, weil sie über das wässerige Bier des Sponsors lästern. Auf Europatourneen mit AC/DC und Metallica erreichen sie dann ein breites Publikum. Zudem schlagen die Singles im Radio und Musikfernsehen ein. Vor allem die Coverversion von Otis Reddings "Hard To Handle" aus dem Jahr 1968 wird zum Hit.
"Das ist ein toller Song mit einem starken Refrain. Aber der einzige Grund, warum ich ihn damals ausgewählt habe, war, weil er kein großer Hit für Otis war, sondern nur eine B-Seite. Man musste schon auf die Grateful Dead stehen, um ihn zu kennen, denn die meisten Leute aus unserem Freundeskreis standen definitiv nicht auf "Tom Jones At The Flamingo", auf dem sich seine Version befindet. Unsere Fassung verdanken wir aber nicht zuletzt George Drakoulias, unserem damaligen Produzenten. Er ist die Nummer angegangen als wäre sie "Walk This Way" von Aerosmith. Denn sie hatte dieselben Beats pro Minute und einen ähnlichen Vibe, was den Rhythmus betrifft. George hat dafür gesorgt, dass daraus ein Rock´n´Roll-Song wurde. Oder besser: Er hat uns dazu gebracht, einen Rock´n´Roll-Song daraus zu machen."
Musik: "Hard To Handle"
"Hard To Handle", mit Platz 26 der Billboard-Charts der größte Hit der Black Crowes. Er hat auch maßgeblichen Anteil am Erfolg des Albums, das sich stolze fünf Millionen Mal verkauft. Binnen eines Jahres werden die Black Crowes zu Superstars mit ausverkauften Arenen, Gold- und Platin-Auszeichnungen, Model-Freundinnen, Reisen im Privatjet und einer Titelstory im amerikanischen Rolling Stone. Ein Traum, auch für Chris Robinson.
Superstars
"Wenn ich heute zurückblicke, hat es etwas davon als wäre ich ein Berufsboxer gewesen. Nach dem Motto: "Kleiner, geh´ in den Ring und hau´ sie um." Ist dir das gelungen, haben sie dir immer größere Gegner vorgesetzt. Sie wollten, dass du dir einen Namen machst." Der schnelle Erfolg sorgt jedoch auch für Probleme. Es kommt zu ersten personellen Umbesetzungen, die sich wie ein roter Faden durch die Karriere der Black Crowes ziehen. Chris und Rich kämpfen um die Führungsrolle in der Band und mit Plattenfirma und Management.
Musik: "Remedy"
"Remedy" aus dem zweiten Album vom Mai 1992: "The Southern Harmony And Musical Companion". Das Werk katapultiert die Band endgültig in den Rock-Olymp und bringt doch eine Veränderung. Die Black Crowes mutieren zur Jam-Band. Ihre Auftritte werden zu endlosen Improvisationen, bei denen die Songs schon mal 30 Minuten dauern und bis zur Unkenntlichkeit mit anderen Stücken kombiniert werden. Für Chris ein Stilmittel zur Abgrenzung.
"Wir hatten keine Lust, eine ordinäre Rock´n´Roll-Band zu sein, sondern wollten uns ausdehnen. Und ich bin mir bewusst, dass wir dadurch eine Menge Fans verloren haben, genau wie durch ein paar richtig miese Shows. Das nehme ich auf meine Kappe. Ich war ziemlich daneben."
Die Solo-Jahre
Dem Großteil ihres Publikums ist das Ausufernde zu viel und zu hippiesk. Zumal sich der veränderte Sound auch optisch niederschlägt. In Rauschebärten, langen Haaren und Barfuß-Performances. Entsprechende Kritik scheint die Brüder allerdings noch anzustacheln. Sie setzen ihren Weg unbeirrt fort und werden zu den Grateful Dead der späten 90er.
Musik: "Thorn In My Pride"
Die neue Richtung führt auch zu Spannungen mit ihrem Label "American", das zugleich Starproduzent Rick Rubin gehört. Dem sind Alben wie "Amorica" oder "Three Snakes And One Charm" nicht kommerziell genug. Mehrere Labelwechsel haben jedoch keinen Effekt auf die sinkenden Verkaufszahlen. Auch intern wachsen die Konflikte. Ausgebrannt vom endlosen Touren und erhöhtem Drogenkonsum streiten die Brüder immer öfter. Das führt dazu, dass sie in verschiedenen Bussen reisen und in getrennten Hotels übernachten. Wann sie sich auf der Bühne treffen, wird über persönliche Assistenten abgestimmt. Am kommunikativen Zusammenbruch ändern auch Konzerte mit Jimmy Page und den Rolling Stones wenig. Die schwarzen Krähen benötigen immer längere Pausen. Bandmitglieder gehen, neue kommen. Im Dezember 2013 ist nach 29 Jahren und acht Alben Schluss.
Musik: Rich Robinson – "I Know You"
Musik: Chris Robinson Brotherhood – "Venus In Chrome"
Nach dem Ende der Black Crowes startet Chris die Chris Robinson Brotherhood, und erfindet sich auf sieben bemerkenswerten Alben komplett neu. Doch 2019 - nach dem Selbstmord von Gitarrist Neil Casal, bricht die Band auseinander. Ein Jahr zuvor tourt Chris unter dem Projektnamen "As The Crow Flies" und covert Stücke aus dem Katalog seiner alten Formation. Sein Bruder Rich nimmt eine Reihe von Solo-Alben auf und gründet The Magpie Salute. Eine Band, die neben ihm aus den Ex-Krähen Marc Ford und Sven Pipien besteht. Doch an alte Erfolge können sie nicht anknüpfen. Dabei benötigen die Robinsons dringend Geld. Für teure Scheidungen und Alimente. Logische Folge, im Herbst 2019 verkünden die schwarzen Krähen ab sofort wieder gemeinsam auszuschwärmen. Das brüderliche Kriegsbeil, so Chris, sei begraben.
"Es ist wirklich so, dass du dich so weit wie möglich von einer Sache entfernen musst, um sie richtig zu verstehen. Hinzu kommt, dass ich heute auch ein ganz anderer Mensch bin als zwischen 40 und 50. Das verdanke ich nicht zuletzt meiner Frau. Sie hat mir geholfen, mit meinen Depressionen und meiner Wut klarzukommen und nicht ständig negativ zu sein. Echte Liebe und einen wirklichen Partner fürs Leben zu finden, hat meine Wahrnehmung stark verändert. Und für Rich gilt dasselbe. Er hatte eine neue Band gegründet, hatte da viel Verantwortung und musste sich um alles kümmern. Ohne diese Erfahrungen, die wir beide gemacht haben, würden wir heute nicht hier sitzen."
Musik: Brothers Of A Feather – "Horsehead" (live)
Brothers Of A Feather. Unter diesem Pseudonym treten Chris und Rich Mitte Februar in London auf und kündigen eine Welttournee für den Sommer 2020 an. Termine, die der Covid-19-Pandemie zum Opfer fallen, aber ein ganz neues Live-Erlebnis versprechen.
"Da gibt es kein Jammen und kein Improvisieren. Wir spielen die Album-Versionen. Also Boom-Boom-Boom - die pure Essenz der Black Crowes und der Songs. Wir bringen ´Shake Your Money Maker´ in seiner kompletten Länge - so wie wir es aufgenommen, aber nie performt haben. Selbst als es erschienen ist, haben wir es live ja immer verändert und mit neuen Stücken oder Coverversionen kombiniert. Deswegen mache ich auf der Bühne auch gerne Witze wie: "Ich wette, ihr hättet nie erwartet, mal eine 3-Minuten-Version von "Wiser Time" zu hören. Dieser Racker hat sonst locker 27 Minuten gedauert. Aber, das ist es, wo wir jetzt sind."
Neue brüderliche Liebe
Trotz eines neuen "Wir"-Gefühls zwischen den Brüdern. Richtig Friede, Freude, Eierkuchen herrscht dann doch nicht. Dafür sorgen Ex-Mitglieder wie Drummer Steve Gorman oder Bassist Sven Pipien. Sie verklagen das Duo wegen ihrer Nicht-Berücksichtigung bei der Reunion. Doch die Robinsons bestehen auf neuem Personal.
"Das ist die einzige Möglichkeit, um den Fokus und den Optimismus, den wir gerade haben, aufrecht zu erhalten. Sonst verfallen alle ganz schnell in alte Verhaltensmuster. Denn jede Band hat eine Art Familiendynamik. Und wenn du 30 Jahre mit denselben Leuten reist, sind da negative Gedanken, die einfach tief in deinem Gehirn verwurzelt sind."
Tatsächlich sind die "Neuen" alte Bekannte: Gitarrist Isaiah Mitchell, Bassist Tim Lefebvre, Drummer Raj Ohja und Keyboarder Joel Robinow haben Chris schon bei As The Crow Flies unterstützt. Und, sie sind keine festen Mitglieder der Black Crowes, sondern "hired guns" – Aushilfskräfte, die kein Mitspracherecht haben. Die Verantwortung, aber auch die Kontrolle, liegt einzig bei den Robinsons. Ob das positiv oder eher bedenklich ist, wird sich zeigen. Wie lange der Frieden zwischen den Brüdern hält ebenfalls und ob sie noch einmal an die Klasse ihres Frühwerks heranreichen sowieso. Momentan sind sämtliche Live-Termine auf den Herbst 2021 verschoben. Wenn es mit den Konzerten einigermaßen klappt, wäre Chris auch bereit für neue Stücke:
"Wenn wir 46 Shows spielen und so viel Zeit miteinander verbringen, werden wir zwangsläufig anfangen, neue Songs zu schreiben. So, wie wir es immer getan haben, an freien Tagen, in der Garderobe, wo auch immer. Denn eine Sache, auf die Rich und ich uns immer einigen können, ist halt ein guter Song."
Bis dahin gilt: Alles kann, nichts muss. Es hängt ganz davon ab, wie ernst die Brüder den Neustart nehmen, ob sie mehr Verständnis für einander aufbringen und ob sie 30 Jahre nach "Shake Your Money Maker" noch dieselbe unbändige Leidenschaft besitzen. Hoffen wir es für sie und für uns.
Musik: "Twice As Hard"